Maßhüte aus Wien für hippe Großstadt-Nomaden
Mit ihrer Maßhutfertigung am Wiener Naschmarkt haben Audrey Lee James und Nuriel Molcho das vom Aussterben bedrohte Modisten-Handwerk neu belebt.
Am Anfang stand die Suche nach einem Hut, am Ende die Gründung von Nomade Moderne, einem Modisten-, sprich Hutmacher-Betrieb: Weil sie nicht fanden, was sie suchten, erlernten Audrey Lee James und Nuriel Molcho ein beinahe in Vergessenheit geratenes Gewerbe und eröffneten einen Laden am Wiener Naschmarkt. Heute liefern sie unter dem Label Nomade Moderne individuelle Maßhüte in die halbe Welt.
Persönliches Interesse
Am Anfang stand Nuriels Suche nach einem Hut, der seinen Vorstellungen entsprach. Wir sind Perfektionisten, und nirgends konnten wir genau das finden, was er wollte. Die wenigen Maßhuthersteller, die wir fanden, verlangten horrende Preise, um die 1.000 Euro. Ein Bekannter, dessen Hut Nuriel schon eher gefiel, erklärte uns, er würde seine Hüte einfach selber machen. Das wollten wir auch probieren und machten uns also daran, herauszufinden, wie ein Hut hergestellt wird. Wir dachten uns, so schwierig kann das ja nicht sein.
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Faszination für das Gewerbe
Wir haben uns zunächst bei den wenigen Modisten, die es in Wien noch gibt, umgeschaut und versucht, uns möglichst viel abzuschauen. Das Formen des Filz hat Nuriel fasziniert und das ist jetzt auch sein Part: Dabei wird mit Dampf und verschiedenen Holzformen das rohe Material in die Form gebracht, die der Hut am Ende haben soll. Ich hingegen kümmere mich um die Detailarbeiten, etwa die Bänder innen und außen oder sonstige Verzierungen.
Auch ich bin über den Wunsch nach Kleidungsstücken, die meinen Vorstellungen entsprechen, zum Nähen gekommen: Immer gab es etwas zu verändern und irgendwann stellte ich fest: Ich kann ja nähen!
Außerdem kümmere ich mich um alles Bürokratische: Ich bin dabei, mein Wirtschaftsstudium abzuschließen, so hat diese Ausbildung auch ihren Sinn.
Werkzeuge mit Seltenheitswert
Zunächst einmal mussten wir aber die richtigen Werkzeuge beschaffen. Weil Hüte heutzutage kaum noch handwerklich produziert werden, gibt es auch keine Firmen mehr, die die dafür notwendigen Werkzeuge und Maschinen herstellen. Also hat Nuriel das Internet durchforstet und unglaubliches Glück gehabt: Er hat ausgerechnet auf willhaben.at ein Inserat entdeckt, indem der Erbe einer Modistin fast die gesamte Ausrüstung ihrer alten Werkstatt angeboten hat. Ihm war der Wert der Hinterlassenschaft offensichtlich bewusst: Eine Mezzie war es nicht gerade, aber wir konnten die Werkzeuge aus eigener Tasche bezahlen und mit den ersten Versuchen starten.
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Know-how aus dem Internet
Basisanleitungen haben wir im Internet gefunden: Nuriel hat Tutorials und Anleitungen recherchiert und sich an die Arbeit gemacht. Als Wirt und Wiener ist Nuriel an gewerberechtliche Überraschungen gewöhnt, aber Hutmachen ist ein freies Gewerbe und die Kammer war ausgesprochen hilfreich – im Handumdrehen hatten wir unsere Gewerbeberechtigung.
Bald wurden wir auf unsere ersten Hüte angesprochen, Freunde fragten, ob wir ihnen nicht auch einen anfertigen könnten. Langsam begann so eine kleine Produktion bei uns in der Wohnung anzulaufen. Nuriel formte die Hüte über dem Dampf, ich nähte Hutbänder auf meiner Nähmaschine und stattete die Hüte aus. Bald war das Klima in unserem Wohnzimmer unerträglich heiß und feucht, und der Geruch von nassem Filz ist auch nicht unbedingt der feinste.
Clevere Familien-Synergien
Da kamen uns der Zufall und die Aufmerksamkeit eines Beamten des für den Naschmarkt zuständigen Marktamtes zu Hilfe. Er hatte erfahren, dass wir begonnen hatten, Hüte zu machen und nach einem geeigneten Ort suchten, um sie herzustellen und womöglich auch gleich zu verkaufen.
Nuriels Familie hat ein Lokal am Naschmarkt, das "Neni. Um mehr Raum für den Schanigarten zu haben, hatten sie einen direkt angrenzenden Raum gemietet. Der durfte allerdings nicht für die Gastronomie genutzt werden, nicht einmal als Lager. Der Beamte hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir den Raum aber als Verkaufslokal nutzen könnten.
Das ist natürlich eine tolle Location, die wir derzeit kostenlos nützen dürfen – eine Miete am Naschmarkt könnten wir uns natürlich noch nicht leisten. Aber dann würden wir eben eine andere Location suchen oder einen Online-Store betreiben, oder Pop-up-Events aufziehen.
Mundpropganda und Social Media
Abgesehen von der Mundpropaganda nutzen wir natürlich die sozialen Netzwerke, um unsere Marke zu bewerben. Der Name "Nomade Moderne" kommt von unserer Lebensphilosophie: Wir sind viel unterwegs, nicht vordergründig wegen der Hüte, aber auch nie, ohne uns inspirieren zu lassen oder neue Materialien zu suchen. Dabei entstehen natürlich Bilder, die faszinieren und fleißig geteilt werden. Unsere Werbeaktivitäten passen wir der Nachfrage an: Wenn sie nachlässt machen wir mehr, kommen wir mit der Produktion nicht nach schränken wir sie ein. Derzeit produzieren wir gut 10 Hüte pro Monat.
Jedes Stück ein Unikat
Unsere Hüte erkennt man daran, dass sie nie "perfekt" sind. Wir bauen stets einen "Makel" ein, um sie unverwechselbar zu machen. Die Krempen sind oft scheinbar ausgefranst oder haben kleine Schnitte, die Bänder wirken alt, der Filz hat Brandflecken. So machen wir den handwerklichen Prozess unserer Produktion sichtbar. Ein industriell hergestellter Hut darf ja gar nicht vom Standard abweichen – unsere Hüte hingegen sind stets als individuelle Einzelstücke aus unserer Hand erkennbar.
Break Even nach einem Jahr
Unsere Standardmodelle kosten derzeit 230 Euro, personalisierte Maßhüte kosten ab 290 Euro. Damit decken wir Materialkosten und Arbeitsstunden ab, Gewinne reinvestieren wir wieder. Die Hutmacherei ist nicht unser Hauptberuf, aber Nomade Moderne ist profitabel. Wir haben bereits nach einem Jahr den Break Even erreicht. Unser Ziel ist es, groß genug zu werden, um als Marke bekannt zu sein, aber klein genug, um alles selbst produzieren zu können. Ich denke, vieles wird sich entwickeln, und daraus wird sich die Richtung ergeben.
Liebe zum Handwerk
Preislich sind wir absolut konkurrenzfähig, dementsprechend können wir uns über mangelnde Nachfrage nicht beklagen. Wir überlegen derzeit, wie wir die Produktpalette durch weitere unverzichtbare Accessoires für den modernen Nomaden erweitern könnten. Eine Huttasche böte sich an, schließlich muss man den Hut ja auch transportieren ohne ihn allzu sehr zu verformen, die klassische Hutschachtel ist ja nicht wirklich praktikabel.
Vergrößern wollen wir uns eher nicht, auch wenn immer wieder Anfragen nach einer Lehre an uns herangetragen werden. Wir haben mit dem Hutmachen nämlich nicht angefangen, um reich zu werden, sondern aus Faszination und Liebe zum Handwerk!
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