Sechs Erkenntnisse einer Kleidermacherin aus Leidenschaft
Sandra Gilles hat einen langen Weg bis zu ihrem "Atelier Goldfaden" hinter sich. Was man dabei lernen und bei einem zweiten Mal anders machen kann, hat sie Port41 erzählt
Sandra Gilles hat einen langen, kurvenreichen Weg bis zum heutigen Standort ihres im Oktober 2016 eröffneten Ateliers hinter sich gebracht. Verschiedene Schulen in Wien und die Lehranstalt für Mode in Salzburg, Uni in Paris, Jobs als Designerin erst in Frankreich, dann bei Lang und Palmers in Wien. Schließlich der Sprung ins kalte Wasser der Selbständigkeit, Mutterschaft, dann doch wieder der Versuch in Korsika das "wahre" Leben mit Familie zu Genießen. Bis sie und der Vater ihrer beiden Kinder vor zwei Jahren den Entschluss fassten, es doch in Österreich versuchen zu wollen. Und Sandra Gilles die Erfahrungen ihres ersten selbständigen Projekts zu nutzen, um Fehler nicht ein zweites Mal zu wiederholen.
1. Tun was man will, aber auf einer soliden Basis
Ich wusste schon von klein an, dass ich Kleider machen will, habe früh zu nähen begonnen. Nach vielen Schulwechseln und unserem Umzug nach Salzburg habe ich dort die Fachschule für Mode entdeckt und habe in der fünften Klasse mitten im Schuljahr dorthin gewechselt. Das war ein Institut der alten Schule, sehr auf solides Handwerk orientiert, dort habe ich eine klassische Schneiderausbildung mit Schwerpunkt perfekte Verarbeitung gelernt, zweifelsohne ein ganz wichtiges Fundament für meine Arbeit.
Das hat mir aber auch gleich beim nächsten Schritt sehr geholfen. Nach dem Abschluss, einer Gesellenprüfung, wollte und ging ich gleich nach Frankreich. Ich habe die Aufnahmeprüfung an der ESMOD in Lyon gemacht, offensichtlich so überzeugend, dass ich gleich das erste Jahr überspringen und danach direkt an die Hochschule nach Paris durfte. Nach dem Abschluss hätte ich auch gleich einen Job als Designerin bekommen, davon gibt es ja in Frankreich deutlich mehr als in Österreich.
2. Den Gefühlen folgen, ruhig auch verschiedene Wege gehen
Ich habe mich aber entschieden, nach Österreich zurückzukehren, mein Freund war an der Hochschule in Linz, und ich habe eine Stelle als Designerin für das Label "Remix" in Seewalchen am Attersee gefunden. Es war aber bald klar, dass der Schock, von Paris in die Provinz zu gehen doch zu groß war. Ich bin dann, sobald dies mein Vertrag erlaubt hat, gleich nach Dienstschluss mit Sack und Pack nach Wien umgezogen.
Anstellung habe ich lange keine gefunden, mich dann als Auslagengestalterin bei H&M durchgeschlagen, bin schließlich bei einer Modefirma in Ungarn als Designerin untergekommen, diehaben mir aber nie mein Gehalt ausbezahlt. Ziemlich verzweifelt wieder in Wien habe ich Stellenannoncen studiert, Palmers hat eine Verkäuferin gesucht. Ich war bei der Personalchefin, die hat sich angeschaut, was ich so gemacht habe und nur gemeint "jemand mit Ihren Fähigkeiten kann doch nicht im Verkauf arbeiten", und mich als Designerin angestellt.
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3. Einen fixen Job anfangs sicherheitshalber behalten und sanft umsteigen
Ein paar Jahre habe ich das fix gemacht, dann frei und nebenher meine eigenen Sachen ausprobiert. Ich hatte ein großes Atelier im 7. Bezirk in Wien, habe Taschen gemacht. Gegenüber war ein Hotel und eines Abends ist eine ganze Busladung japanischer Touristinnen herein gekommen und hat alles gekauft, was im Showroom lag, bis aufs letzte Stück. Da habe ich mir gedacht es wird Zeit, es zu versuchen. Die Stücke die ich bei Palmers entworfen hatte, waren im Geschäft nicht mehr zu erkennen – ich musste mein eigenes Ding machen, unabhängig und selbständig werden.
Zufällig wurde damals in der Gasse, in der ich wohnte, ein schönes, kleines Lokal frei und ich habe zugeschlagen. Und dort habe ich dann endlich angefangen, Bekleidung anzubieten – ich mag den Begriff lieber als Mode – und im Hinterzimmer zu nähen. Nach ein paar Jahren kam das erste Kind. Das ging noch ganz gut, mein Mann ist auch selbständig und konnte sich kümmern, oder ich habe den Buben ins Geschäft mitgenommen.
Als das zweite Kind unterwegs war merkte ich schon, das funktioniert jetzt nicht mehr. Zufällig kam ich mit einer Kundin ins Gespräch, auch sie Mutter und als Goldschmiedin auf der Suche nach einem eigenen Geschäft. Ein paar Wochen danach stieg sie bei mir ein, wir konnten abwechselnd anwesend sein und hatten noch genug Zeit für Kinder und Besorgungen übrig ohne einander Rechenschaft ablegen zu müssen. Gut ein Jahr haben wir dann gemeinsam dort gewerkt, doch dann wurde der Wunsch zu groß, einmal am Meer zu leben. Ich gab alles auf, und wir zogen in das Haus meiner Familie nach Korsika.
4. Auf das Feedback der Kinder hören, aber die eigenen Bedürfnisse nicht hintanstellen
Die Sache lief allerdings von Anfang am schief. Vom Beinahe-Absturz bei der Anreise über einen Bandscheibenvorfall und einen Kindergarten, der nur vormittags geöffnet hatte, war die Zeit von schlechten Omen nur so durchzogen. Aber ich wusste, dass ich meine Leidenschaft leben musste und dass das auf Korsika nicht ging. Nach knapp zwei Jahren waren wir wieder da.
Klar war, ich muss wieder arbeiten, entwerfen, meine Visionen umsetzen. Natürlich sind die Kinder das Wichtigste in meinem Leben, aber wenn ich nicht zufrieden bin werden sie auch nicht glücklich sein. Andrerseits sind Kinder ein hervorragendes Korrektiv, du tust, was du tust konsequenter, ohne Umwege und Zeit zu vergeuden. Außerdem sind sie sehr direkt. Neulich sagte mein Älterer "Mama, du schaust aus wie eine alte Hexe", nachdem ich die ganze Nacht durchgearbeitet hatte. Also galt es, beim Neuanfang möglichst viel richtig zu machen.
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5. Den Standort nicht nur nach der Zielgruppe sondern auch der eigenen Erreichbarkeit wählen
Anfangs habe ich unzählige Messen besucht, Stände auf- und abgebaut, bin viel gereist, aber ohne durchschlagend Erfolg. Schnell war klar, ich brauche wieder ein Geschäft. Erst habe ich an Krems gedacht, weil wir da wohnen. Ich habe mich drei Tage lang in die Fußgängerzone gesetzt um das Publikum zu studieren, Fahrradtouristen, Pensionisten, Studenten – meine Klientel war definitiv nicht dabei. Also Wien. Und damit war auch gleich klar, dass ich wieder eine Partnerin brauche, von Anfang an.
Claire Karó, Gold- und Silberschmiedin, hatte ich regelmäßig auf Ausstellungen getroffen, sie hat drei Kinder, war auch auf der Suche und wir passen sowohl vom Stil als auch menschlich gut zusammen. Sie gab dann den Ausschlag für die Location in der Berggasse, weil sie im 18. Bezirk lebt. Ich fahre mit der Bahn und bin vom Franz-Josephs Bahnhof auch schnell da. Das Lokal war praktisch bezugsfertig, die Ablöseforderung allerdings utopisch. Wir haben aber einfach geboten, was wir zu zahlen in der Lage waren, etwa ein Zehntel. Erstaunlicher Weise hat das aber dann doch gereicht. Man muss sich nur trauen!
6. Einen Partner finden, der die eigene Situation ohne Probleme nachvollziehen kann
Wenn man als Elternteil selbständig ein Geschäft führen will ist es auch wichtig, dass man jemanden hat, der schnell zur Stelle ist, wenn eines oder gar beide Kinder krank sind. Oft sind das die Großeltern, in meinem Fall leben die allerdings in Frankreich oder Griechenland und sind keine echte Hilfe. Dafür ist mein Mann selbständiger Programmierer, hat sein Home Office, kümmert sich um die Kinder. Andrerseits macht es die Sache nicht gerade einfacher, wenn beide kein festes Einkommen haben, ein Angestelltengehalt gibt doch eine gewisse Sicherheit.
Aber aus finanziellen Überlegungen heraus habe ich meinen Beruf ohnehin nicht gewählt und würde ihn nicht so ausüben, da müsste man es anders anstellen. Dazu gehört aber ein Charakter, den ich nicht habe und auch nicht entwickeln möchte, mir geht es um die Lebensqualität. Aber eines mach ich sicher nicht mehr: dass ich mein Geschäft zu einer sozialen Einrichtung werden lasse, wo Freunde und Bekannte zum Plaudern vorbeikommen, einen Kaffee trinken und einem das Herz ausschütten. Da bin ich nun ganz konsequent, komplimentiere sie raus, steige in den Zug und fahre heim zu meiner Familie.
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