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Die deutsche Übersetzung Armutstourismus klingt schlimmer, als das Konzept, das dahinter steckt: In vielen Ländern hat gibt es sie bereits, die Touren zu Orten, an denen Armut, ihre Gründe und Folgen, sowie die Strategien sie zu überwinden zum Thema gemacht werden. Seit heuer auch in Wien.

Die Zwischentöne der Schatten

Auf den Namen Shades Tours hat mich ein Gespräch mit zwei befreundeten Psychoanalytikern gebracht. Die haben die Komplexität unserer heutigen Welt als bestimmendes Problem für viele Menschen ausgemacht. Sie suchen nach Orientierung und versuchen die Umwelt in schwarz und weiß einzuteilen, Zwischentöne und Details gehen verloren. Genau diese Zwischentöne versuche ich bei meinen Touren auf den Spuren der Obdachlosen in Wien zu beleuchten.

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Internationale Erfahrung

Ich habe in Kempten Tourismuswirtschaft studiert. Dank Numerus Clausus wurde ich dort sofort mit Handkuss aufgenommen, während man sich in Österreich für einen Studienplatz auf einer FH anstellen muss. Anschließend habe ich ein Erasmus Jahr in High Wycombe in England absolviert. Dort gab es einen sehr interessanten Kurs über Tourismus als volkswirtschaftliches Instrument zur Armutsverringerung. Ich erhielt also keine Management-Ausbildung, lernte aber eine ganz neue Seite von Tourismus kennen.

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Meine Diplomarbeit habe ich dann für den holländischen Entwicklungsdienst geschrieben. Zum Thema „Development Aid through Pro-Poor Tourism in Central Vietnam“, also über Tourismus mit Augenmerk auf Armut als Instrument der Entwicklungshilfe. Außerdem habe ich für die Weltorganisation für Tourismus der Vereinten Nationen ein halbes Jahr in der Türkei als Volunteer gearbeitet. Dort habe ich auch endlich zu meinem ersten "echten" Job bei einer spanischen Tourismus Consulting Firma bekommen, ich habe die Fremdenverkehrsministerien von Belize und den Philippinen betreut.

Vorbilder aus Barcelona und Amsterdam

Zurück in Wien habe ich versucht, meine beiden Interessen zu verbinden: das für strategisches Arbeiten im sozialen Feld mit jedem am Tourismusmarketing, in dem ich mich zu Haus fühlte. Ich wollte ein sozial nachhaltiges Unternehmen gründen, das sich selbst trägt. Also habe ich recherchiert und bin auf einen Artikel gestoßen, der das Konzept von Städteführungen unter der Führung von Obdachlosen erklärt und an Hand von Beispielen in Amsterdam, London, Prag und Barcelona beschreibt. Diese Projekte habe ich mir Anfang 2015 angeschaut, um herausfinden, was ihre Werte sind, welchen Nutzen sie schaffen und wie sie arbeiten.

Gewerbeordnung in Wien

Bei der anschließenden Analyse in und für Wien wurde mir klar, dass eine vordergründig touristische Herangehensweise wie etwa in Barcelona bei uns nicht so einfach wäre. Denn dort dürfen die Obdachlosen auf ihren Touren auch Sehenswürdigkeiten erklären, dafür braucht man in Österreich aber einen Gewerbeschein. Und die verpflichtende Ausbildung dafür, dauert zwei Jahre, ist ausgesprochen kostspielig und war daher für mein Projekt keine Option.

Also beschränken sich unsere Touren auf Orte und Institutionen, die im Leben von Obdachlosen eine Rolle spielen. So verwandeln die Obdachlosen als Guides ihre soziale Schwäche in eine Stärke, sie können mit Kompetenz auftreten. Was ihnen, neben den Einkünften, auch wieder zu Selbstbewusstsein verhelfen kann – auch ein ganz wichtiger Punkt bei einem Sozialen Unternehmen.

Kooperation mit den Institutionen

Als nächstes galt es, das Thema der Rundgänge zu finden. Zu behaupten, die Situation in Wien wäre für Obdachlose katastrophal, ist schlichtweg falsch. Es gibt eine lange Reihe von Institutionen, die sich des Problems annehmen. Also habe ich mit diesen Kontakt aufgenommen und ihnen mein Projekt präsentiert. Und bin, ganz gegen meine Erwartungen, rasch auf großes Interesse gestoßen. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass eine Tourismusunternehmerin von den Menschen in den Institutionen mit so viel Enthusiasmus aufgenommen und tatkräftig unterstützt wird. Schnell hatte ich zwanzig Institutionen beisammen, schon im Januar 2016 konnten wir die ersten Touren starten. 

Authentische Guides

Unsere Guides haben sich alle selbst bei uns gemeldet: Weil sie von uns – etwa im Radio – gehört haben, nach Jobs für Obdachlose gegoogelt haben oder weil sie uns in einer der Institutionen kennen gelernt haben. Wichtig ist mir, dass nach einer Tour möglichst alle Fragen der Teilnehmer beantwortet sind. Unsere Generation ist ja mit Aktionen wie Nachbar in Not und Licht ins Dinkel aufgewachsen, aber in letzter Zeit haben sich die Probleme vergrößert, sind uns näher gekommen, und man weiß nicht wirklich, wie damit umgehen. Darf man, soll man fragen, hin- oder wegschauen, wie geht man mit der überall sichtbaren Armut um?

Indem wir mit Betroffenen direkt an die Orte hingehen, fällt die Schranke das Thema anzusprechen; die Indifferenz, mit der wir oft mit dem Thema umgehen und die viele der Betroffenen schmerzt, wird aufgebrochen. Plötzlich kann und darf man Fragen stellen: Welche Ansätze gibt es, die Problem zu lösen? Welche Einrichtungen und wie funktionieren sie? Was sind die Gründe der Obdachlosigkeit? Es bleibt aber jedem unserer Guides selbst überlassen, wie weit er sein eigenes Schicksal anspricht.

Chancen für die Mitarbeiter

Die drei Guides, die momentan für uns arbeiten, haben alle in der Situation der Obdachlosigkeit begonnen. Als soziales Unternehmen ist es unsere Aufgabe, ihnen mit der nötigen Flexibilität die Möglichkeit zu bieten, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bringen. Wir melden sie geringfügig an, sie haben eine Adresse, können ein Konto eröffnen, sehen Chancen, entwickeln wieder Interesse an Hygiene und ähnlichen scheinbaren Banalitäten.

Zwei von ihnen haben mittlerweile wieder ein privates Wohnverhältnis. Ich habe ihnen Teile der Kaution vorgestreckt, die sie abarbeiten können. Dadurch haben sie wieder in eine gewisse Normalität hineingefunden. Robert werden wir nächstes Jahr fix im Büro als Salesmanager einstellen, Dieter wird wahrscheinlich ab Jänner ein neues Arbeitsverhältnis mit jemandem anderen eingehen.

Barbara, unser derzeit dritter Guide, die Kunstgeschichte studiert hat, wird die Ausbildung zur staatlich geprüften Fremdenführerin beginnen. Wir haben dafür ein Community Investment von einer Firma bekommen.

Finanzierung aus sich selbst

Da ich über keine nennenswerten Rücklagen verfügte, war von Anfang an klar, dass sich das Unternehmen selbst tragen muss. Wir bieten Dienstleistungen an, die so gut sein müssen, dass die Kunden dafür zu zahlen bereit sind, weil sie den Wert schätzen. Wir haben zwei verschiedene Angebote im Programm, erstens die Touren, die 15 Euro pro Person kosten, und verschiedene Gruppenaktivitäten, wie etwa das gemeinsame Kochen in Institutionen wie der Gruft, die von Unternehmen als Team Building Events gebucht werden.

Für Schulklassen haben wir acht verschiedene Programme entwickelt, natürlich zu günstigeren Preisen, die begeistert aufgenommen werden. Eine Klasse hat zum Beispiel auf einer Tour bemerkt, dass Socken besonders dringend gefragt sind. Also haben sie in ihrer Schule zu sammeln begonnen, demnächst können wir einen prallen Sack in der Gruft abgeben.

Ausgeglichener Start

Auch was die wirtschaftliche Seite anlangt, können wir zufrieden sein. Ich habe alle Guides bezahlt, die Overheads und die Steuerberaterin. Wir haben im ersten Jahr den Break Even erreicht. Ich selbst habe mir natürlich nichts aus der Firma genommen, nur die Wiener Linien Jahreskarte habe ich mir geleistet, man könnte also von einem positiven Ergebnis von 365 Euro im Prototypenjahr sprechen.

Den AWS Scheck, den alle neu gegründeten Unternehmen erhalten, habe ich nicht bekommen, weil ich im Tourismus tätig bin, und genau diese Branche ausdrücklich nicht berechtigt ist. Aber es gibt jetzt vom Austria Wirtschaftsservice den Social Business Call für Start-Ups und soziale Innovation in der Arbeitsmarktintegration, da hoffen wir, bedacht zu werden.

Ich glaube, es ist nicht schlecht, wenn man anfangs nicht zu viel Zeit mit den meist komplizierten Förderanträgen verliert, sondern alle Energie ins Business steckt. Bei uns hat sich das jedenfalls ausgezahlt. Das Unternehmen trägt sich selbst, und nächstes Jahr sollte ich mir auch selbst ein Gehalt auszahlen können.

Weiterlesen: Was ist ein social-entrepreneur

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Kommentare ( 1 )

  • Das ist eine tolle Business-Idee! Ich wünsche dir und deinen MitarbeiterInnen viel Erfolg. (der Artikel hätte allerdings redigiert gehört, damit ihn ganz viele Leute lesen ;-)
    Alexandra Fiedler-Lehmann,

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