Wie sich ein Syrer am Wiener Brunnenmarkt eine neue Existenz aufbaute
Seine Erfahrungen im Unternehmen seiner Familie nützte der 2014 aus Damaskus Geflüchtete, um am Wiener Brunnenmarkt ein Geschäft und einen Großhandel zu starten.
Der Syrer Hassan Bernie kam im Herbst 2014 nach Österreich, ein Jahr bevor die Flüchtenden aus dieser Region es in die Schlagzeilen und das Bewusstsein der Europäer schafften. Am Wiener Brunnenmarkt hat sich der heute 36jährige Elektrotechniker als selbstständiger Händler eine neue Existenz aufgebaut.
Gutbürgerliches Elternhaus
Ich habe in Damaskus ein Elektrotechnikstudium abgeschlossen, danach aber auf Wunsch meines Vaters in einem seiner Geschäfte gearbeitet. Mein Bruder ist Arzt, Kardiologe, und ging schon früher nach Europa, ich sollte daher die Geschäfte der Familie weiterführen. Doch 2011 führten die Demonstrationen gegen den Präsidenten und die Reaktion der Regierung darauf zum Bürgerkrieg, und die Lage in Damaskus wurde immer schwieriger. Bis April 2014 kamen 150.000 Menschen ums Leben, ein Drittel davon Zivilisten.
Lebensgefährliche Umgebung
Mit der Bildung der Freien Syrischen Armee, die sich aus desertierten syrischen Soldaten rekrutierte, wurde der Krieg endgültig allumfassend. Die reguläre Armee brauchte dringend neue Soldaten. Meine Eltern hatten Sorge, dass auch ich rekrutiert werden würde – nicht zu unrecht, meine Mutter erzählt mir, das immer noch alle 14 Tage die Militärpolizei nach mir fragt. Damaskus war zu diesem Zeitpunkt schon stark zerstört, die Situation chaotisch, und uns war klar, dass ich früher oder später höchstwahrscheinlich entweder den Rebellen, der Armee oder dem IS zum Opfer fallen würde. Auch heute sterben täglich um die 300 Menschen. Also fassten wir den Beschluss, dass ich besser flüchten sollte.
Schlauchboot, Balkanroute, Deutschkurs
Ich bin dann in die Türkei, mit einem winzigen Boot auf eine griechische Insel, wurde aufs Festland gebracht und bin dann innerhalb eines Monats über Serbien und Ungarn zu Fuß nach Österreich gegangen. In Wien kam ich in eine Flüchtlingsunterkunft und innerhalb von vier Monaten wurde mein Flüchtlingsstatus anerkannt, das ging damals noch sehr rasch.
Mein erstes großes Ziel war natürlich, Deutsch zu lernen, die vier Kurse, die angeboten wurden, habe ich alle erfolgreich absolviert. Als anerkannter Flüchtling konnte ich mich auch um eine Arbeit beziehungsweise eine Ausbildung umsehen. Über das AMS bin ich an eine spezielle einjährige Lehrstelle als Installateur gekommen. Die habe ich aber nach einem halben Jahr beendet, um mich selbstständig zu machen. Wie das Geschäft funktioniert, wusste ich ja aus Syrien und ich wollte mehr verdienen, um eine Familie erhalten zu können.
Berufsziel Selbständigkeit
Über einen Freund habe ich einen Stand am Brunnenmarkt bekommen, damit war dann auch klar, dass ich in die Lebensmittelbranche gehen würde. Ich habe den Stand um 15.000 Euro abgelöst, das Geld dafür habe ich von meiner Familie, mein Bruder hat es mir überwiesen. Den Gewerbeschein zu bekommen war kein Problem: Am Magistrat habe ich ihn unter Vorlage meines Konventionspasses und dem Nachweis des Standortes innerhalb einer Viertelstunde gehabt.
Den Stand habe ich seit Februar 2016. Ich verkaufe hauptsächlich Gewürze, Tees, haltbare Lebensmittel und Konserven für Menschen aus dem Kulturkreis, aus dem auch ich komme, also dem Nahen Osten, Maghreb. Auch einige indische oder pakistanische Produkte habe ich im Sortiment, damit kenne ich mich aus. Und das ist wichtig, damit man besser sein kann, als die Konkurrenz. Es läuft ganz gut, mir ist wichtig, dass ich gute Ware habe, das merken sich die Kunden. Die sind größtenteils übrigens auch Immigranten im weitesten Sinn, nur Freitag und Samstag kommen auch viele Wiener.
Integrationstool Sprachkompetenz
Dann fällt übrigens besonders auf, wie wichtig Sprache ist. Ich habe einen Angestellten, der spricht natürlich auch fließend Deutsch, aber es gibt viele Kunden, bei denen das nichts hilft, da müsste man zum Beispiel Türkisch können. Ich verstehe ja nicht, wie man nach so langer Zeit in Österreich ohne Deutschkenntnisse auskommt, Angebote die Sprache zu lernen gibt es genug. Vielleicht haben wir Syrer es da aber auch ein bisschen leichter als andere, weil bei uns das Bildungssystem ausgesprochen gut war und viele Geflüchtete in städtischen Umgebungen aufgewachsen sind.
Ich achte auch sehr darauf, keine Ware ohne Rechnung im Laden zu haben, wir werden ja besonders gründlich kontrolliert, und die Konkurrenz ist groß, da darf man sich keine Blößen geben. Wichtig ist, dass man Stammkunden gewinnt, die regelmäßig kommen – und die habe ich mittlerweile, wie man das anstellt habe ich ja schon in den Geschäften meines Vaters gelernt.
Expansion und Familie
Ich habe von Anfang an geplant zu wachsen und eine GmbH zu gründen. Das muss noch ein Wenig warten, dafür muss ich noch mehr Kapital schaffen. Aber ich habe schon einmal ein Geschäftslokal in einer Seitengasse unbefristet gemietet und dafür auch Ablöse gezahlt. Momentan dient es mir als Lager, über kurz oder lang möchte ich dort aber einen Großhandel starten und Geschäfte in Wien, Linz und Salzburg beliefern – ich hoffe, das gelingt bald.
Vielleicht kann mir dabei auch meine Frau, eine gebürtige Russin, helfen. Wir haben uns drei Monate, nachdem ich in Österreich angekommen bin, am Stephansplatz kennen gelernt und bald darauf geheiratet. Es ist einfacher, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wenn man nicht dauernd ausgeht und nach Freundinnen Ausschau hält. Mittlerweile haben wir auch eine zweijährige Tochter. Man kann also sagen, ich bin in Wien gut angekommen!
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